Reden und Grußworte
Rede von Janine Wissler auf der 1. Tagung des 8. Parteitages
Liebe Genossinnen und Genossen,
zum ersten Mal seit langem treffen wir uns wieder zu einem Präsenzparteitag - nach über zwei Jahren Pandemie. Zum ersten Mal stehe ich heute, auf einem richtigen Parteitag, als Parteivorsitzende vor Euch.
Unsere Partei, die wir vor 15 Jahren gegründet haben, befindet sich in einer tiefen Krise. Wir haben herbe Niederlagen bei der Bundestagswahl und bei den letzten Landtagswahlen erlebt, zu viele Mitglieder haben die Partei verlassen.
„Es kommt darauf an, sie zu verändern“, ist das Motto dieses Parteitags. Das gilt für die Welt und auch für uns als LINKE. Das ist unser Auftrag.
Vor 15 Jahren haben wir uns aufgemacht, zwei Parteien zu einer werden zu lassen, um dieses Land zu verändern. Wir hatten Erfolge und Niederlagen. Ja, wer kämpft, kann verlieren, aber zu Wahrheit gehört, dass wir in den letzten Jahren häufiger verloren haben, als es zu verschmerzen gewesen wäre. Und dabei haben wir immer wieder den Eindruck hinterlassen, als wären die Kämpfe untereinander wichtiger als die für unsere politischen Ziele. Das müssen wir selbstkritisch feststellen und das müssen wir ändern.
Liebe Genossinnen und Genossen, ein „Zurück“ zur politischen Konstellation der 2000er-Jahre und unserer Gründungszeit kann und wird es nicht geben. Wir müssen unsere Rolle im Hier und Jetzt finden als linke Opposition zur Ampel, als sozialistische Gerechtigkeitspartei.
Und die Ampel lässt viel Platz für linke Politik. Und die Themen liegen auf der Hand: steigende Preise und Mieten, wachsende Ungleichheit, Armut und prekäre Arbeit, unzureichende Klimapolitik, Aufrüstung. Unsicherheit ist für viele Menschen zum Lebensgefühl geworden. Die Konzentration von Macht und Reichtum in den Händen Weniger bedroht die Grundlagen der Demokratie.
In dieser Situation müssen wir linke Alternativen aufzeigen und unser Profil schärfen. Das heißt, die Interessen der Beschäftigten, der Erwerbslosen, der Rentnerinnen und Rentner in den Mittelpunkt unserer Politik zu stellen. Menschen, die jeden Tag zur Arbeit gehen, aber jeden Euro zweimal umdrehen müssen. Menschen, die erwerbslos sind und in Armut leben. Beschäftigte, die sich von Befristung zu Befristung hangeln und sich sorgen, ob sie morgen noch einen Job haben oder je wieder eine neue bezahlbare Wohnung finden.
Derzeit sprechen viele Menschen unter der Überschrift #IchBinArmutsbetroffen mutig und offen darüber, wie Armut in diesem reichen Land aussieht. Wie es sich anfühlt, wenn man sich die Dinge des täglichen Lebens nicht mehr leisten kann. Sie berichten von Scham und Ausgrenzung, von dem Gefühl, seinen Kindern nichts bieten zu können, und von der Wut über diese Zustände.
Hören wir diesen Menschen zu und unterstützen wir sie dabei, endlich gehört zu werden!
Wenn Menschen ihren Kindern erklären müssen, dass ein Kinobesuch, ein Ausflug oder ein Eis nicht drin ist, wenn Alleinerziehende Einladungen zu Kindergeburtstagen unter einem Vorwand ausschlagen, weil sie sich das Geschenk nicht leisten können, wenn Rentnerinnen ihre Wohnungen kaum noch heizen – dann sich das Zustände, mit denen wir uns niemals abfinden dürfen.
Viele Menschen wissen angesichts steigender Preise kaum noch, wie sie ihren Einkauf oder ihre Gasrechnung bezahlen sollen.
Für sie muss es schnelle und gerechte Entlastungen geben. Auch für Rentnerinnen und Rentner und die Studierenden. Unter den Studierenden lebt rund jeder Dritte in Armut, und jeder fünfte Rentner ist von Armut betroffen. Sie wurden von der Ampel vergessen.
Sozialleistungen müssen sofort um mindestens 200 Euro monatlich erhöht werden. Zur Erinnerung: Der Hartz IV Regelsatz ist in diesem Jahr um drei Euro erhöht worden. Für Erwachsene. Für Kinder nur um zwei Euro. Und dass einige Jobcenter jetzt auch noch wegen des 9-Euro-Tickets Geld für die Schülerbeförderung zurückfordern, weil es eine „ungerechtfertigte Bereicherung“ sei, ist eine Sauerei.
Die versprochene Kindergrundsicherung, und damit der Kampf gegen Kinderarmut, hat die Ampel auf das Jahr 2024 verschoben. Aber Kinder haben nur eine Kindheit. Wann, wenn nicht jetzt, wäre der richtige Moment, um sie einzuführen? Die Menschen, die in Armut leben, haben keine Zeit zu warten.
Die Ampel wird all diese Probleme nicht lösen. Mit ihr wird es weder einen bundesweiten Mietendeckel geben zum Schutz der Mieterinnen und Mieter, noch echte Verbesserungen für die Pflegekräfte oder die Bürgerversicherung. Das Thema Umverteilung und Vermögenssteuer wurde abgeräumt. Schuldenbremse und Schwarze Null bleiben – nur für Aufrüstung wird eine Ausnahme gemacht und ein „Sondervermögen“ geschaffen. All dies lässt nicht nur viel Raum für linke Kritik, es macht sie dringend nötig.
Die steigenden Preise und Mieten bergen enorme gesellschaftliche Sprengkraft, hier müssen wir aktiv werden, Infostände und Kundgebungen machen und in die Offensive kommen angesichts der anstehenden Verteilungskämpfe im Herbst.
Und es ist ja nicht so, dass gerade alle ärmer werden. Die Zahl der Vermögensmillionäre ist gestiegen, und Mineralöl- und Energiekonzerne verdienen gut an steigenden Preisen und Tankrabatt. Sie sind nicht gemeint, wenn Finanzminister Lindner von „fünf Jahren der Knappheit“ spricht.
Wer an der sozialen Ungleichheit etwas ändern will, muss für Umverteilung sorgen. Durch die Wiedererhebung der Vermögenssteuer und eine einmalige Vermögensabgabe auf sehr hohe Vermögen.
Wir wollen die Übergewinne der Krisenprofiteure stärker besteuern, und ich bin sehr froh, dass die links mitregierten Länder das in den Bundesrat eingebracht haben. Und wir wollen eine staatliche Energiepreisaufsicht, damit sich Energiekonzerne nicht auf Kosten der Verbraucher bereichern.
Liebe Genossinnen und Genossen, der Sozialstaat ist eine der großen Errungenschaften der Arbeiter*innenbewegung, er ist das Ergebnis von Kämpfen ‚von unten‘ und Zugeständnissen ‚von oben‘. Dabei geht es um mehr als Sozialpolitik. Unser Eintreten für soziale Gerechtigkeit hat sich nie in der Arbeits- und Sozialpolitik erschöpft.
Auch der Zugang zu Bildung ist eine soziale Frage, eine Klassenfrage, der Zugang ist abhängig von der Herkunft. Das heutige Bildungssystem verstärkt die soziale Ungleichheit noch. Kinder aus armen Familien, Kinder mit Migrationsgeschichte und Kinder mit Behinderungen werden systematisch benachteiligt.
Wir wollen längeres gemeinsames Lernen, eine Schule für alle Kinder und eine neue Kultur des Lernens, die Kinder und Jugendliche stärkt, statt sie durch schlechte Noten und Sitzenbleiben zu beschämen.
Wir kämpfen in allen Bereichen um soziale Gerechtigkeit.
Frieden
Liebe Genossinnen und Genossen, seit vier Monaten werden wir Zeuge eines furchtbaren Krieges in der Ukraine. Wohnhäuser werden zerbombt, Millionen sind auf der Flucht, Tausende wurden getötet, Familien auseinandergerissen.
Die russische Führung trägt die Verantwortung für diese Eskalation. Der verbrecherische Angriffskrieg ist durch nichts zu rechtfertigen, und unsere Solidarität gilt den Menschen in der Ukraine, die um ihr Leben fürchten, die fliehen mussten, die Angehörige zurücklassen mussten, die alles verloren haben.
Ja, auch dieser Konflikt hat eine Vorgeschichte, aber es gibt keine Rechtfertigung für diesen Krieg. Putin erklärt, dass die Staatlichkeit der Ukraine ein Fehler der Russischen Revolution gewesen sei, er verfolgt imperiale und nationalistische Ansprüche. Nicht erst seit dem Überfall auf die Ukraine.
Was für uns bei der Kritik an Kriegen der USA oder der NATO selbstverständlich war, gilt auch für Russland. Wir messen nicht mit zweierlei Maß. Wenn die Ukraine angegriffen wird, gilt unsere Solidarität der Bevölkerung, die unter diesem Krieg leidet. Und unsere Solidarität gilt den mutigen Menschen, die in Russland aufstehen gegen den Krieg – trotz Repressionen und Haftstrafen.
Und gerade jetzt sind die Brücken in die russische Zivilgesellschaft wichtig, denn Russland ist nicht gleichzusetzen mit dem Kreml. Wenn Städtepartnerschaften ausgesetzt und russische Kulturschaffende ausgeladen werden, ist das ein falsches, ein fatales Signal.
Liebe Genossinnen und Genossen, viele Menschen in diesem Land haben Angst, dass dieser Krieg sich ausweitet. Vor einer Rutschbahn in den Dritten Weltkrieg, vor dem Einsatz von Atomwaffen. Es muss alles getan werden, um eine weitere Eskalation zu verhindern und zu einer Verhandlungslösung zu kommen.
Die Lieferung von Waffen, insbesondere schwerer und offensiver Waffensysteme, an die Ukraine, lehnen wir ab. Wir wenden uns an die vielen Menschen, die nachdenklich sind und die sich der scheinbaren Alternativlosigkeit der militärischen Logik entziehen. Und wir lassen nicht zu, dass nicht-militärische und pazifistische Ansätze verächtlich gemacht und ins Lächerliche gezogen werden.
Wir waren bei vergangenen Konflikten aus guten Gründen häufig gegen Sanktionen, weil sie breite Teile der Bevölkerung treffen.
Gezielte Sanktionen gegen Oligarchen und den militärisch-industriellen Komplex hingegen befürworten wir, wenn sie denn konsequent durchgesetzt würden.
Ein sofortiges Gasembargo hätte dramatische Folgen für die Bevölkerung, es würde zu dramatischen sozialen Verwerfungen führen. Richtig ist aber: die Abhängigkeit von Gas und fossiler Energie zu reduzieren. Wir wissen um den Zusammenhang von fossilen Energien und neuen Kriegsgefahren.
Es braucht jetzt Milliardenpakete für eine sozial gerechte Energiewende. Das wäre eine Zeitenwende in die richtige Richtung.
Bundeskanzler Scholz aber meint mit seiner Zeitenwende eine gigantische Aufrüstung. Die Ampel hat gemeinsam mit der Union 100 Milliarden für die Bundeswehr auf den Weg gebracht. Zur Erinnerung: Die Mittel für den Verteidigungshaushalt wurden in den letzten acht Jahren bereits um 50 Prozent erhöht. Den Menschen in der Ukraine ist damit nicht geholfen, bei den Rüstungskonzernen knallen die Sektkorken. Die weltweit gestiegenen Rüstungsausgaben der letzten Jahre haben den russischen Angriff nicht verhindert. Und deshalb ist es gut, dass wir den 100 Milliarden in Bundestag und Bundesrat nicht zugestimmt haben.
100 Milliarden – dabei geht es nicht um warme Unterwäsche für die Truppe, es geht um atomwaffenfähige Kampfflugzeuge, um die Bewaffnung von Drohnen.
Eine grüne Außenministerin spricht von nuklearer Abschreckung und warnt vor Kriegsmüdigkeit.
´Der SPD-Vorsitzende Klingbeil will, dass Deutschland eine internationale Führungsmacht werden müsse nach 80 Jahren Zurückhaltung, und meint das explizit auch militärisch. Das lehnen wir strikt ab, wir wollen keine deutsche Führungsmacht – gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte. Wenn die Bundesregierung international mehr Verantwortung übernehmen will, dann sollte sie aufhören, Waffen an alle Welt zu liefern.
Es gibt die Gefahren durch ein globales Wettrüsten und durch Stellvertreterkriege mit Beteiligung von Atommächten. Als LINKE machen wir Druck, damit Deutschland den Atomwaffenverbotsvertrag endlich unterzeichnet!
Wir sind doch nicht für Abrüstung, weil wir ideologisch verbohrt sind, sondern weil wir wissen, dass einen Atomkrieg niemand gewinnen kann, und es so viele Atomsprengköpfe auf der Welt gibt, dass man die Menschheit zigfach auslöschen könnte.
Unser Nein zu Bundeswehreinsätzen im Ausland, Waffenexporten und Aufrüstung ist richtig und wird von vielen Menschen geteilt. Die russische Invasion führt uns nicht zur Akzeptanz der NATO, unsere Kritik wird dadurch nicht obsolet. Es war ein Fehler, dass die NATO nach Ende der Blockkonfrontation als Militärbündnis bestehen blieb und sich immer weiter nach Osten ausgeweitet hat.
Die Kriege der NATO wurden nicht für Menschenrechte und Demokratie geführt – auch wenn die Bundesregierung gerne von wertebasierter Außenpolitik und vermeintlichen westlichen Werten spricht, ihr Agieren orientiert sich an geostrategischen Interessen. Das zeigt sich im Umgang mit dem Verbündeten Saudi-Arabien, der seit 2014 direkt in den Krieg im Jemen eingreift und lange mit Waffenlieferungen aus Deutschland unterstützt wurde. Und das zeigt sich im Umgang mit der Türkei und Erdogan.
„Erkämpft das Menschenrecht“ gilt für uns universal und für alle von Unterdrückung Betroffenen: Das gilt für Julian Assange und die Gefangenen in Guantánamo, für chinesische Gewerkschafter*innen wie für die Opposition in Russland, genauso wie für die kurdische Bewegung gegen die Repression und den Krieg Erdoğans. Unsere Solidarität gilt der HDP, und ich bin sehr froh, dass wir auf diesem Parteitag ein Grußwort der HDP hören werden.
Liebe Genossinnen und Genossen, es ist gut, dass die Geflüchteten aus der Ukraine Solidarität und Unterstützung erfahren. Wir vergessen aber auch die anderen Kriege auf dieser Welt nicht, die es bereits vor dem 24.2. gab, und die Geflüchteten im belarussisch-polnischen Grenzgebiet und die, die im Mittelmeer ertrinken. Sie erfahren keine Hilfe, sondern illegale Pushbacks und Zäune. Für uns gibt es keine zwei Klassen Kriegsflüchtlingen. Die Menschen aus Afghanistan, aus dem Irak und Syrien haben das gleiche Recht auf Hilfe, alle Menschen, die vor Bomben und Krieg fliehen – unabhängig von Herkunft, Religion und Hautfarbe. Meine erste Auslandsreise als Parteivorsitzende habe ich nach Lesbos gemacht und das Lager Kara Tepe besucht. Dort leben tausende Menschen, darunter viele Kinder, in Zelten. Im Sommer in der Hitze, im Winter in der Kälte. Ich habe Kinder getroffen, die noch nie einen Spielplatz gesehen haben. Lager wie Kara Tepe müssen aufgelöst und die Menschen evakuiert werden.
Liebe Genoss*innen, das Ziel einer weltweiten Friedensordnung bleibt richtig. Unsere Außenpolitik gründet sich nicht auf Militär, Aufrüstung, Standortwettbewerb und Wirtschaftskrieg. Uns geht es um eine gerechte Weltwirtschaftsordnung, die nicht auf der Ausbeutung des globalen Südens beruht. Es geht um die Freigabe von Patenten auf Medikamente und Impfstoffe, um die Überwindung des Hungers in der Welt, um ein Verbot von Nahrungsmittelspekulationen, denn Essen gehört auf den Teller und nicht an die Börse. Dafür sollte sich Kanzler Scholz beim G7-Gipfel in Elmau einsetzen.
Dazu gehört auch eine grundlegende Veränderung der Europäischen Union. Ein Schlüsselthema für uns in den nächsten zwei Jahren bis zur Europawahl.
Als Partei der internationalen Solidarität freuen wir uns über die historischen Wahlerfolge von Gustavo Petro in Kolumbien und Gabriel Boric in Chile und gratulieren herzlich.
Klimagerechtigkeit.
Liebe Genossinnen und Genossen, der Klimawandel wird weltweit zu schwersten gesellschaftlichen Verwerfungen führen. Die ersten Leidtragenden sind die Menschen im globalen Süden, die durch Dürren, Ernteausfälle und Überschwemmungen zur Flucht gezwungen werden. Aber auch in Europa sind die Folgen des Klimawandels längst spürbar, wie die verheerenden Waldbrände und die Überflutungen im letzten Jahr gezeigt haben.
Ich war vor einigen Monaten vor Ort im Ahrtal und habe mit Menschen gesprochen, die Angehörige und Nachbarn in den Fluten verloren haben. Ganze Existenzen wurden vernichtet, alles, was Menschen sich über Jahrzehnte aufgebaut haben. Klimaschutz ist eine soziale Frage.
Wenn wir den Klimawandel aufhalten wollen, geht es um eine grundlegende Veränderung unserer Gesellschaft. Es geht um ein Ende der Ausbeutung von Menschen und den natürlichen Lebensgrundlagen, das schrieben schon Karl Marx und vor allem Friedrich Engels, lange bevor das Phänomen des Klimawandels als Folge des fossilen Kapitalismus‘ bekannt war.
Doch mit dieser notwendigen Transformation sind große Ängste und Sorgen verbunden – zurecht. Diese rühren aus vergangenen Erfahrungen mit Strukturwandel in den Kohle- und Industrieregionen und ganz besonders aus den sozialen Verwerfungen, die die Menschen in Ostdeutschland nach 1990 erlebt haben.
Besonders eindrücklich war das für mich, als ich letztes Jahr mit der sächsischen Genossen in einem Besucherbergwerk im Erzgebirge war und mir die ehemaligen Bergleute die Geschichte der Wismut erzählten, das große Bergbauunternehmen der DDR, bei dem nach der Wende in kürzester Zeit 50.000 Arbeitsplätze wegfielen und ganzen Regionen die wirtschaftliche Grundlage entzogen wurde. Eine Geschichte, die im Westen nur Wenige kennen.
Nach 1990 wurden ganze Regionen deindustrialisiert, Betriebe durch die Treuhand ausverkauft und privatisiert, hunderttausende Arbeitsplätze abgebaut, ganze Regionen wurden von der Infrastruktur weitgehend abgehängt.
Wir sollten aus diesen Transformationserfahrungen im Osten lernen. Und auch von den Kämpfen, wie dem der Kali-Kumpel in Bischofferode, die monatelang das Bergwerk besetzten und in den Hungerstreik traten, um sich gegen den Verlust ihrer Arbeitsplätze zu wehren.
Die Infrastruktur in vielen ländlichen Regionen kann nur durch massive staatliche Investitionen wiederaufgebaut werden. Damit Krankenhäuser und kleine Schulen erhalten, stillgelegte Bahnstrecken reaktiviert und regionale Arbeitsplätze geschaffen und erhalten werden. Diese Alternativen für die Menschen konkret zu machen, ist unser Auftrag als linke Partei – gerade in Zeiten großer Umbrüche.
Beim Klimawandel geht es um die Zukunft der Menschheit. Es geht um Existenzen. Der Markt und private Investoren werden es nicht richten. Die Ampel diskutiert über die Verlängerung der Laufzeiten von Atom- und Kohlekraftwerken, unter grüner Regierungsbeteiligung wohlgemerkt, bei der Energiewende geht es aber nicht voran, und nicht mal das Tempolimit kommt.
Die drohende Klimakatastrophe erfordert ein demokratisches Eingreifen in die Wirtschaft, klare gesetzliche Vorgaben, staatliche Investitionen und auch Maßnahmen zur Enteignung und Vergesellschaftung. Für eine sozial gerechte Klimawende braucht es nicht weniger als das größte Investitionsprogramm aller Zeiten und eine gerechte Verteilung von gesellschaftlichem Reichtum, damit die Kosten für den Klimaschutz und die Folgen der Klimakrise nicht auf die Beschäftigten abgewälzt werden.
Lasst uns die Partei sein, die den notwendigen ökologischen Umbau mit sozialen Garantien und dem Ausbau von demokratischen Mitbestimmungsrechten verbindet.
Statt ein Sondervermögen für Waffen und Militär wollen wir ein Klima-Job-Programm und Investitionen für den schnelleren Ausstieg aus fossilen Energien, für den Ausbau von Bus und Bahn als bezahlbare und funktionierende Alternativen zum Auto. Deutschland muss zum Bahnland werden. Dabei geht es um die Senkung der Fahrpreise und den Nulltarif, um Barrierefreiheit, um die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken und den verstärkten Einsatz von Bussen, um wieder eine Anbindung an den ÖPNV zu erreichen. Wir wollen ein einkommensunabhängiges Mobilitätsgeld, um klimafreundliche Mobilität zu fördern und Pendlerinnen und Pendler zu entlasten. Im Leitantrag für den Bundesparteitag „Gemeinwohl vor Profit“ finden sich viele Ideen für eine linke Erzählung. Eine solche Perspektive, die über den Kapitalismus hinweist, erwarten laut einer Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung 54 Prozent unserer Wähler*innen. Sie erwarten von der LINKEN grundsätzliche Antworten.
Um die Industrie in Deutschland zu erhalten, brauchen wir kluge Konversionskonzepte: für die Automobilindustrie nach dem Verbrennungsmotor, für die Werften als Alternativen zu Kreuzfahrtschiffen und Militär. Die Beschäftigten müssen über den Umbau mitentscheiden können, durch den Ausbau der Mitbestimmung, durch regionale Wirtschafts- und Transformationsräte.
Die Digitalisierung bietet die Chance für Arbeitszeitverkürzung und eine gerechtere Verteilung von Arbeit – auch zwischen den Geschlechtern. Eine Vier-Tage-Woche, die in einigen europäischen Ländern umgesetzt wird, wäre auch in Deutschland möglich und würde Zeit für eine gerechte Verteilung der Sorge-Arbeit schaffen.
Das wäre möglich, wenn Fortschritte zum Wohle aller genutzt, statt von Wenigen angeeignet zu werden. Dabei geht es um die Verfügungsgewalt. Diese Fragen im 21. Jahrhundert in Zeiten großer Umbrüche zu stellen und zu beantworten, ist Aufgabe einer sozialistischen Partei.
Es geht um das Eigentum an Grund und Boden, wenn immer mehr städtischer Grund verkauft und Gegenstand von Spekulation wird, was die Mieten weiter in die Höhe treibt.
Dass die Infragestellung bestehender Eigentumsverhältnisse populär sein kann, hat die Kampagne „Deutsche Wohnen, Vonovia und Co enteignen“ in Berlin gezeigt mit einer breiten Zustimmung von 59 Prozent beim Volksentscheid. Das ist einer der größten Erfolge der gesellschaftlichen Linken in den letzten Jahren, das ist populäre linke Politik!
DIE LINKE ist eine politische Sammlungsbewegung, die unterschiedliche politische Kämpfe zusammenbringen kann und sie nicht gegeneinanderstellt. Die Frage ist nicht, ob wir unterschiedliche gesellschaftliche „Milieus“ ansprechen, sondern wie das gelingen kann.
Wir unterstützen gewerkschaftliche und betriebliche Kämpfe, wie aktuell die Kämpfe der Pflegekräfte für Entlastung, die in NRW seit sechs Wochen im Streik sind. Von hier aus unsere volle Solidarität mit Eurem Streik!
Es geht um die Aufwertung von Berufen und die gleiche Bezahlung für Frauen. Anfang des Jahres hat sich der Gewerkschaftsrat der LINKEN konstituiert, auch in einigen Landesverbänden wurden bereits Gewerkschaftsräte benannt.
Neue politische Bewegungen haben sich formiert - für konsequente Klimapolitik, für eine solidarische Flüchtlingspolitik, für umfassende Gleichberechtigung und gegen alle Formen von Diskriminierung. Die Menschen in diesen Bewegungen müssen uns als eine verlässliche Partnerin erleben. Hier müssen wir daran arbeiten, Vertrauen zurückzugewinnen.
Beim Kampf um gleiche Rechte für Frauen, queere Menschen und Menschen mit Migrationsgeschichte geht es um Menschenrechte und um die Überwindung von gesellschaftlicher Spaltung.
Die sozialistische Bewegung hat immer für das Frauenwahlrecht, gegen die Kriminalisierung durch den Paragrafen 175 gekämpft und das Recht zum Schwangerschaftsabbruch.
Gut, dass der 219 a jetzt endlich abgeschafft wird, aber auch der Paragraf 218 muss weg, Schwangerschaftsabbruch gehört nicht ins Strafgesetzbuch. Für ein körperliches Selbstbestimmungsrecht.
Wenn Menschen mit Migrationsgeschichte benachteiligt werden bei der Suche nach einer Wohnung oder einem Arbeitsplatz und überdurchschnittlich oft im Niedriglohnbereich arbeiten, zeigt das, dass die Kämpfe gegen Rassismus und für soziale Gerechtigkeit untrennbar miteinander verbunden sind.
Der Kampf gegen Rassismus und Faschismus, gegen Antisemitismus und rechte Gewalt ist eine permanente Aufgabe für uns als linke Partei. Dort, wo es keine starke Zivilgesellschaft und keine aktiven Bündnisse gegen rechts gibt, wächst die Bedrohung für Menschen mit Migrationsgeschichte, für queere Menschen und alle Menschen, die der politischen Linken zugeordnet werden. Der Terror des NSU, die Morde in Halle, Hanau und an vielen anderen Orten zeigen, wie groß die Gefahr von rechts ist.
Für eine moderne sozialistische Gerechtigkeitspartei
Liebe Genossinnen und Genossen, die herbe Niederlage der LINKEN bei der Bundestagswahl hat gezeigt, dass viele Menschen uns derzeit nicht zutrauen, etwas bewirken zu können. Auch bei den letzten Landtagswahlen haben wir viele Wählerinnen und Wähler an das Nichtwählerlager, aber auch an SPD und Grüne verloren.
Menschen, die uns mal gewählt haben und das jetzt nicht mehr tun, finden aber unser Wahlprogramm nicht plötzlich falsch und die Rente ab 67 gut. Unser Problem ist, dass wir in der Öffentlichkeit als zerstritten und uneins wahrgenommen werden.
Wir senden bei vielen Fragen widersprüchliche Botschaften aus, so dass vielen nicht mehr klar ist, für was DIE LINKE steht. Beim Klimaschutz, bei Corona, bei der Afghanistan-Abstimmung im Bundestag. Wir müssen wieder gemeinsam zu klaren Botschaften kommen und sie geschlossen vertreten. Als eigenständige politische Kraft mit einem erkennbaren politischen Profil.
Linke Politik muss provozieren, polarisieren und zuspitzen, immer entlang von „oben“ und „unten“ und niemals von „unten“ nach „noch weiter unten“. Wir sollten nicht die eigene Wähler- und Mitgliedschaft polarisieren, sondern zwischen uns und dem politischen Gegner.
Das bedeutet, dass wir unsere Ideen auf eine zugespitzte und populäre Art und Weise unter die Leute bringen müssen durch eine gute Öffentlichkeitsarbeit, kreative Aktionen und den Mut zu provokanten Forderungen.
Menschen in prekären Verhältnisse gehen am wenigsten zur Wahl. In NRW waren es über 40 Prozent. Das ist Ausdruck von Ohnmacht und Resignation. Mehr Plakate oder schickere Flugblätter werden das nicht ändern. Wir müssen uns selbstkritisch fragen, warum wir Menschen nicht mehr erreichen, die uns mal gewählt haben. Und wie wir das ändern können. Persönliche Gespräche an der Haustür, am Infostand oder bei der Sozialberatung sind ein wichtiges Mittel, um Menschen, die sich von „der Politik“ nichts mehr erwarten, zu erreichen.
DIE LINKE muss mit einer guten Parlamentsarbeit zeigen, dass sie einen Unterschied macht – ob in der Opposition oder in der Regierung – und sie muss eine aktive Mitgliederpartei sein.
Wir müssen uns inhaltlich weiterentwickeln und auch Strukturen verändern und die Partei organisatorisch reformieren. Wir müssen auch an unserer Kultur arbeiten, für einen solidarischen und respektvollen Umgang miteinander.
Liebe Genossinnen und Genossen, es ist eine Schwäche unserer Partei, wenn wir nicht verhindern können, dass Frauen in unseren Reihen Sexismus und sogar Übergriffe erleben. Bei allen Frauen, denen wir bisher nichts oder wenig anbieten konnten, wenn ihnen Unrecht widerfahren ist, möchte ich mich aufrichtig entschuldigen. Sexismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, der Anspruch an uns, als feministische Partei, ist aber zurecht höher als an andere. Ich will nicht sagen, dass ich in den letzten Monaten alles richtig gemacht habe. Aber ich will euch versichern, dass das, was ich getan habe, in bester Absicht war. Der Parteivorstand hat eine unabhängige Expertinnenkommission eingesetzt. Frauen sollen nicht schweigen müssen, wenn sie Diskriminierung oder Gewalt erfahren. Es ist gut, wenn sie sich wehren, und sie müssen Hilfe erfahren. Und es ist unsere Aufgabe als Partei, ihnen dafür die nötigen Strukturen zur Verfügung zu stellen. Ja, es war ein Fehler, dass wir diese Möglichkeiten bisher nicht hatten. Lasst uns einen Umgang mit diesen Fehlern finden, damit wir es besser machen können.
Liebe Genossinnen und Genossen, aus Krisen kann man gestärkt hervorgehen, wenn man aus ihnen die richtigen Schlüsse zieht: Klare Botschaften, Solidarität miteinander und mehr Wertschätzung füreinander – auf allen Ebenen. Es liegt an uns.
Die Lage ist ernst, aber sie ist nicht aussichtslos. Wir haben ein starkes Fundament mit zehntausenden Mitgliedern, aktiven Kreisverbänden, tausenden kommunalen Mandaten und Ämtern, neun Landtagsfraktionen, vier Ländern, in denen wir mitregieren, und hier in Thüringen sind wir nach Umfragen stärkste Kraft. Wir haben es selbst in der Hand. Das Potenzial ist da. 18 Prozent der Menschen können sich laut einer Studie im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung vorstellen, DIE LINKE zu wählen. 54 Prozent unserer Wähler wünschen sich, dass wir mehr vom Sozialismus sprechen, also: Lasst uns mehr Sozialismus wagen!
Liebe Genossinnen und Genossen, die letzten Monate waren alles andere als einfach, für die Partei, auch für mich persönlich. Ich will an dieser Stelle sagen, dass ich Susannes Rücktritt sehr bedauere, und möchte ihr heute danken für die gemeinsame Zeit und ihre Arbeit als Vorsitzende unserer Partei.
Ich war in den letzten 15 Monaten in allen 16 Landesverbänden und in etwa 120 Kreisverbänden. Ich habe so viele Mitglieder getroffen, die sich ein Bein ausreißen für unsere Partei. Die allermeisten ehrenamtlich. Abends nach Feierabend im Kommunalparlament und in der Mieterinitiative, im Bündnis gegen rechts und im Kreisvorstand, aktiv bei der Hartz IV-Beratung und in der Bürgerinitiative.
Ich will, dass unsere Mitglieder wieder stolz sein können auf unsere Partei und die Fraktion und sich bestärkt fühlen, wenn sie morgens in die Zeitung schauen. So wie bei der Kandidatur von Gerhard Trabert zum Bundespräsidenten, die alle begeistert hat. Ich freue mich sehr, dass er hier sein wird. Er hat die Themen Obdachlosigkeit, Armut und Gesundheit ins Zentrum gerückt und über die Linke hinaus Ausstrahlung entfaltet, wie die mediale Resonanz, das deutliche Mehr an Stimmen in der Bundesversammlung und die Zuwächse in den Umfragen in dieser Zeit gezeigt haben.
Liebe Genossinnen und Genossen, lasst uns diesen Parteitag als Chance begreifen, strittige Fragen zu klären. Auch nach diesem Parteitag werden wir eine plurale Linke sein – und das ist gut so.
Abweichende Meinungen äußern zu können, ist eine Selbstverständlichkeit in einer demokratischen Partei. Offene Debatte und Respekt vor politischen Minderheitspositionen sind die Voraussetzungen für innerparteiliche Demokratie. Demokratisch beschlossene Mehrheitspositionen müssen aber, nachdem sie getroffen wurden, auch gemeinsam nach außen vertreten werden. Gerade durch die, die das Bild der LINKEN in der Öffentlichkeit prägen. Sonst werden demokratische Meinungsbildungsprozesse entwertet. Und wir sollten nicht vergessen: Abgeordnete und Fraktionen gibt es nur, weil es diese Partei mit ihren 60.000 Mitgliedern gibt.
Wenn wir am Sonntag von diesem Parteitag nach Hause fahren, dann lasst uns alles daran setzen, dass sich unsere Pluralität wieder ergänzt und sich nicht widerspricht. Lasst uns nachsichtiger miteinander sein und aufhören, uns in den sozialen Medien Dinge vorzuwerfen und Fehler öffentlich zur Schau zu stellen. Lasst uns nach innen leidenschaftlich diskutieren, aber lasst uns nach außen den politischen Gegner ins Visier nehmen und für diejenigen da sein, die von der Politik immer wieder vergessen werden.
Es kommt darauf an, sie zu verändern. Das ist das Motto dieses Parteitages. Der ganze Satz aus den Feuerbachthesen von Karl Marx lautet: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“
Hören wir auf mit der Selbstbeschäftigung! Wenn wir Veränderungen erkämpfen wollen, müssen wir uns auch als Partei verändern. Wir werden in diesen drei Tagen nicht alle Probleme lösen können, aber wir können Weichen stellen. Lasst uns um diese Partei kämpfen! Mit ganzer Kraft. Eine Linke in der Tradition der sozialistischen Bewegung, in der Tradition Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts. Wir haben die Verantwortung und Verpflichtung, die Linke zusammenzuhalten, und dürfen sie nicht leichtfertig verspielen. In Verantwortung für die Menschen, die Hoffnung in uns setzen, und für kommende Generationen von Sozialistinnen und Sozialisten.